Die Buchkategorie auf diesem Blog mit diesem Buch anzufangen, mag für Leute, die mich kennen, ein bisschen ungewöhnlich scheinen. Normalerweise lese ich nur selten Bücher, die einen offen-sichtlichen historischen Bezug haben und noch weniger Bücher, die im Zweiten Weltkrieg spielen. Doch bei Der Trafikant bin ich sehr froh, dass ich es dennoch gewagt habe.
Laut Buchrücken handelt Robert Seethalers Roman von der Geschichte des jungen Franz, seiner Liebe zu Anezka und seiner Freundschaft mit Sigmund Freud im Wien der Dreißigerjahre.
Der 17-Jährige Franz hat sein Heimatdorf verlassen, um eine Ausbildung als Trafikant, bei einem Bekannten seiner Mutter, zu machen. Der Trafikant Otto Trsnjek lehrt ihm schnell die wichtigsten Regeln des Berufs: einwandfreie Kenntnis des Sortiments (soll heißen: ständiges Zeitunglesen) und der Stammkunden. Zu genau diesen zählt auch der Psychoanalytiker Freud. Franz ist sofort fasziniert von ihm und beschließt ihn eines Tages auf seine Arbeit als Psychologe anzusprechen. Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine Art Freundschaft zwischen den beiden. Als Franz sich in die böhmische Varietétänzerin Anezka verliebt, ist es Freud, den er um Rat fragt. Dieser kann ihm allerdings nur schwerlich helfen, denn langsam offenbart sich, dass auch der alte Mann nur wenig Ahnung vom weiblichen Geschlecht hat. Die beiden unterschiedlichen Männer vereint außerdem die schwierige Lage Wiens. Immer wieder kommt es zu Übergriffen auf Juden (wie Freud einer ist) und Unterstützern. Als ein solcher ist auch Otto Trsnjek betroffen, dessen Ladenfront eines Tages beschmiert und das Fester eingeworfen wird. Doch das ist erst der Anfang. Im Laufe der Handlung müssen sich, neben dem Trafikant, auch Franz, Anezka und Freud gegen das Regime auf ihre ganz eigene Weise behaupten.
Mir persönlich hat es besonders die Darstellung Sigmund Freuds angetan. Der ältere Mann, wird hingegen der vermeindlichen Erwartung (oder zumindest war das meine) von einer ganz neuen und menschlichen Seite gezeigt. In den stellenweise lustigen Unterhalten mit Franz oder in Sitzungen mit Patienten wird deutlich, dass er weniger verkopfter Psychoanalyter ist, als vielmehr weltnaher Denker. In dem Aufeinandertreffen mit dem unerfahrenen Franz wird außerdem deutlich, dass auch der eingesessene Psychologe nicht immer das größte Wissen über die Dinge hat.
Neben der sympathischen Figur des Sigmund Freud ist auch die Hauptperson Franz ein großer Pluspunkt des Buches. Man hat einen Bildungsroman im Kleinen vor sich, denn man folgt Franz bei seinem schnellen Erwachsenwerden. Man schreitet mit ihm durch das Wien der späten Dreißigerjahre und geht gleichzeitig auch einen Stück seines Lebensweges mit ihm.
Die Sprache des Buches hat mir, neben den eindrucksvoll gezeichneten Figuren, besonders gut gefallen. Sie ist klar und deutlich, aber keines Falls gehoben. Sie passt zu der Zeit, in der die Handlung spielt, ohne altbackend zu wirken. Seethaler verwendet neben einige sprachliche Wiener Eigenarten die Sprache und Dialoge um die Figuren deutlicher zu zeichnen. Dies wird nicht nur in der Beziehung zwischen Franz und Freud deutlich, sondern auch in der Figur Anezka.
Gleichzeitig ist Der Trafikant ein ruhiger Roman, der von aufreibenden Zeiten erzählt. Und trotz seiner Ruhe muss man immer weiterlesen, weil die Geschichte eben so großartig geschrieben ist. Seethaler schafft es gerade in dieser Zeit der großen (menschlichen) Krise unterschiedlichte Menschen zusammenzuführen und das mit einer Leichtigkeit, die selbst einen Geschichts-desinteressierten (also mich) mitreißt. Die deutsche Buchszene ist damit um ein Buch reicher, das es schafft den alten Sigmund Freud menschlich und liebeswert zu präsentieren und gleichzeitig zu zeigen, dass auch Weisheit und Lebenserfahrung (leider) nicht vor allem schützt.
Der Trafikant
Robert Seethaler
Kein & Aber Pocket